Nonnenhorn am Bodensee – eine Liebesgeschichte

Nonnenhorn – die letzte bayerische »Bastion« am Bodensee, der nächste Ort, Kressbronn, liegt schon im Württembergischen. Wie lange wir uns schon kennen? Seit meiner Kindheit, also schon verhältnismäßig lange…

Alljährlich verbrachten wir hier in einer gemütlichen Ferienwohnung auf einem Obsthof mit etwas Weinanbau die letzten beiden Wochen der großen Ferien. Ich erinnere mich an unbeschwerte Spätsommertage, heftige Gewitter, deren Blitze durch das Dachfenster meines Zimmers so grell waren, dass ich mich unter der Bettdecke versteckt habe, hier mochte ich sogar den Regen – die Geräusche der Tropfen auf dem Dachfenster sind heute noch einer meiner liebsten Kindheitserinnerungen. Unsere Vermieter hatten einen Seezugang mit eigenem Badestrand, hier habe ich das Schwimmen gelernt.

Zwar haben wir – wie alle »modernen« Familien der damaligen Zeit auch jedes Jahr Urlaub an der Adria gemacht – der Bodensee war jedoch ein viel geduldigerer Lehrmeister: Die Wellen waren nicht so hoch und wenn mich die Kräfte in den Ärmchen verlassen haben schluckte ich ein bisschen Süßwasser und kam prustend wieder an die Oberfläche. So wurde ich eine sichere und ausdauernde Schwimmerin und bin es bis heute.

Nonnenhorn war damals ein verschlafener Ort – Höhepunkte meiner Ferientage am See waren ein Match am wohl schönsten und liebevollsten Minigolfplatz am See gegen meine Familie (das ich regelmäßig verloren habe), ein Fahrt mit Schiff (meistens zur Mainau, wo-bei mich die Blumenpracht in diesem Alter nicht wirklich interessiert hat), ein Ausflug nach Lindau (dass mir im Gegensatz zu Nonnenhorn wie eine Großstadt vorkam) oder eine beschwerliche Autofahrt auf den Pfänder (oben war mir immer schlecht) aber im Panorama-restaurant gab´s Schnitzel mit Pommes und die Hängebauchschweine mochte ich auch....

Damals gab es auch noch das »Tanzschiff«, es fuhr zweimal wöchentlich mit der »besseren Gesellschaft« über den nächtlichen See, an diesen Abenden stand die ganze Familie auf dem Balkon, um vor dem Hintergrund des flimmernden Schweizer Ufers das beleuchtete Schiff vorbeiziehen zu sehen – wenn der Wind günstig stand, konnte man sogar die Musik hören.

Und wir Kinder durften auch schon mal bei der Birnenernte mithelfen – damit waren die Höhepunkte des Urlaubs aber auch schon erschöpft… ich stromerte mit dem Klapprad durch den Ort, in dem es nie etwas Neues zu sehen gab, suchte schöne Steine am Strand oder begleitete die Mutter zum Einkaufen in den winzigen Tante-Emma-Laden gleich nach dem alten Torkel. Was ich über alles liebte, war das große Bootshaus in unmittelbarer Nachbarschaft im See. Ich fand es geheimnisvoll und träumte davon, es zu besitzen und darin zu wohnen, während es im Sturm den Wellen trotzt…

Obwohl Fotografie damals vergleichsweise teuer war (man kaufte vor dem Urlaub einen 24er oder 32er Farbfilm und geizte dann mit den Bildern, da ja immer noch ein schöneres Motiv kommen könnte), gibt es in unserer Familie unzählige – schon fast kitschig – anmutende Fotos von eben jenem Bootshaus mit der untergehenden Sonne im Hintergrund, immer in unterschiedlichen Rottönen. Romantik pur.

Ich wurde älter, Abi, Ausbildung, Beruf… und natürlich wurde ich Nonnenhorn und dem See irgendwann untreu. Wie alle jungen Menschen suchte ich das Abenteuer, wollte keine Bin-dung an einen biederen und verlässlichen Partner wie Nonnenhorn, sondern bereiste die USA, Europa, sah Metropolen und statt Dampfer gab es Kreuzfahrt.

Irgendwann in dieser »wilden« Phase lernte ich meinen Mann kennen. Der hatte gerade sein Haus umgebaut und war etwas klamm, was lag daher näher, als ihm meinen früheren Partner, den Bodensee – genauer gesagt, Nonnenhorn – vorzustellen? Aus Geldnöten buchten wir nur ein paar Tage im August. Ich war schon gespannt, wie die beiden sich verstehen würden.

Es war der Beginn einer wunderbaren Dreierbeziehung, einer »ménage á trois«, die wir bis heute mindestens einmal jährlich wieder aufleben lassen. Ich verliebte mich auf’s Neue in Nonnenhorn, zeigte meinem Mann all die versteckten Winkel und Plätze meiner Kindheit.

Die Trennung hatte auch Nonnenhorn gut getan. Es hatte Zeit, sich zu entwickeln und man-che Erinnerung suchte ich vergebens, so zum Beispiel den Tante-Emma-Laden, der durch einen modernen Supermarkt ersetzt wurde. Viele Dinge sind aber noch wie früher oder auch besser: Die kleine Jakobus-Kapelle, in der wir jeweils zu Beginn und am Ende eines Urlaubs ein »Kerzerl« stiften und in dem kühlen Kirchenschiff unserer Liebsten daheim gedenken, der Minigolfplatz mit den liebevoll gestalteten Bahnen und Hindernissen aus Motiven wie der Meersburg oder der Lindauer Hafeneinfahrt, oder auch der auffällige Kirchturm der St. Christophorus-Kirche – bei jeder Anreise schon weithin sichtbar machen unsere Herzen ei-nen freudigen Sprung der Vorfreude auf das Wiedersehen mit Dorf und See.

Nonnenhorn ist – wie ich auch – erwachsen geworden. Für den Urlauber groß und klein, für jeden Geschmack gibt es Veranstaltungen, Führungen, Radtouren, Wanderungen, Konzerte. Die Dorferneuerung hat dem Ort ein neues Gesicht gegeben, ihn quasi ein bisschen geschminkt, sehr dezent, nicht zu grell, gelungen eben.

Ein wahrer Sprung in die Neuzeit ist die durch die Gemeinden geschaffene Möglichkeit, mit dem Zug kostenfrei in alle Richtungen fahren zu können. Man kommt an, stellt das Auto ab und im günstigsten Fall befreit man es am Ende des Urlaubs von den Weben der allgegenwärtigen Spinnen, um erholt nach Hause zu fahren.

Großveranstaltungen wie »Komm und See« oder das »Winzerfest« zieht Unmengen Men-schen ins Dorf, die vielleicht auch eines Tages wiederkommen, um das »andere« Nonnen-horn kennenzulernen, je nach Jahreszeit beschaulich ruhig oder mit von Urlaubern gesäumten Straßen und Plätzen, aber Nonnenhorn bleibt irgendwie Nonnenhorn, das ruhige Weindorf meiner Kindheit, nicht mondän wie das wuselige Lindau oder die malerische Halbinsel von Wasserburg – und das ist gut so. Inzwischen wohnen wir seit Jahren wieder bei den Vermietern aus meiner Kindheit, aus der Ferienwohnung wurde ein Doppelzimmer mit Frühstück, aber alles ist noch da: Der Garten mit den alten Obstbäumen, der weingesäumte Weg an den Strand, das »verwunschene« Bootshaus im See und die damit verbundenen Sonnenuntergänge.

Inzwischen sehe ich der dritten Generation zu, wie sie mit Hingabe und unglaublicher Verbundenheit zur Natur in den Reben arbeiten und ich bin stolz darauf, sie alle zu kennen bzw. gekannt zu haben. Noch immer laufen wir jeden Morgen durch das immer gleiche Nonnenhorn ohne jemals etwas wirklich Neues zu entdecken, aber vielleicht ist auch gerade das so erholsam. Jeden Tag sitzen wir bei gutem Wetter am Landungssteg und beobachten eine zeitlang die an- und ablegenden Schiffe.

Wir lieben die »alten Pötte« mit dem schlanken, herausfordernden Bug und den schönen und praktischen Decksaufbauten. Die Schiffe der neuen Generation wie die »Graf Zeppelin«, die »Lindau« oder auch besonders die österreichische »Sonnenkönigin« betrachten wir – wie auch einige bauliche Veränderungen in unserem geliebten Dorf als Sünden der modernen Zeit, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. An Bord gehen wir nur selten, da wir noch im Berufsleben stehen, verbringen wir fast den ganzen Arbeitstag am Bildschirm, so lassen wir die Schiffe in ihrer majestätischen Langsamkeit ziehen und wandern der Gesundheit zuliebe.

Wir sehen uns auch heute noch die Welt an und reisen viel, aber immer wieder zieht es uns hierher zurück, in unser Dorf, an unseren See. Wir kennen Nonnenhorn zu jeder Jahreszeit: Das Blütenmeer im Frühjahr mit den schneebedeckten Bergen, der quirlige Sommer, der Herbst, wenn die Natur ihr buntes Kleid anzieht und die Ernte im Ort auf Hochtouren läuft. Der Winter, wenn Nonnenhorn ausgestorben scheint, die sonst von Radfahren und sonnenverbrannten Touristen gesäumten Straßen verlassen, hinter beleuchteten Vorhängen die Menschen, die uns eine ganze, lange Saison bedienen und uns den Alltag während der schönsten Zeit des Jahres vergessen lassen.

Die Krippe im alten Torkel, deren Figuren stumm von Jesu Geburt erzählen und bei deren Anblick wir uns weitaus weihnachtlicher gestimmt fühlen als beim Besuch jedes überfüllten Christkindlmarktes. Fotografie kostet heute nichts mehr, ist ja digital. Wir fotografieren trotzdem kaum noch. Wir nehmen die Bilder in unsere Herzen auf und rufen sie ab an langen, grauen Wintertagen oder wenn es gerade mal wieder stressig ist – bis wir wiederkommen, nach Nonnenhorn an den See.

Claudia Puchtinger, Irschenberg