Selbstversenkung der Kaiserlichen Flotte 1919

Mit dem Kaiserreich versank die Kaiserliche Flotte. Die Bedingungen des Waffenstillstandes vom November 1918 forderten die sofortige Internierung der deutschen Hochseeflotte unter britischer Aufsicht. Mit Notbesatzungen liefen die grauen Kolosse, von britischen Schiffen bewacht, vorbei an der Nordspitze Jütlands und ankerten auf der Reede von Scapa Flow. Am 21. Juni 1919, kurz vor Unterzeichnung des Versailler Vertrags, öffneten die Mannschaften auf Befehl des kommandierenden Admirals Ludwig von Reuter die Flutventile.
Voran das neue Flottenflaggschiff »Baden« erst nach der Skagerrakschlacht in Dienst gestellt, tauchten die Relikte des deutschen Weltmachttraums in die Wasser des nordischen Ankerplatzes – an der Pforte des ersehnten Ozeans, nach dem sich der deutsche Kaiser auch »Admiral des Atlantiks« nannte.

Scapa Flow
Scapa Flow ist eine Meeresbucht im südlichen Teil der schottischen Inselgruppe der Orkneys umgeben von den Inseln Mainland, Burray, South Ronaldsay, Flotta und Hoy. Da diese Bucht gut geschützt liegt, wurde sie in der Geschichte öfter als Naturhafen benutzt. Schon die Norweger ver­sammelten hier im 13. Jahrhundert ihre Schiffe und gaben ihr den Namen »Skalpafloi«.
Auch zu Napoleons Zeiten spielte dieser Hafen eine wesentliche Rolle. Die Briten versammelten dort ihre Schiffe vor Fahrten in das Baltikum. Die britische Marine richtete hier sowohl im Ersten Weltkrieg als auch im Zweiten Weltkrieg den Hauptstützpunkt ihrer Flotte ein. In beiden Weltkriegen gelang es deutschen U-Booten, in die Bucht einzudringen.
Der Ankerplatz der deutschen Flotte in Scapa Flow befand sich in dem Bring Deeps genannten Teil der Bucht, der etwa zwischen der Insel Hoy und den kleineren Inseln Graemsay und Cava liegt.

Die Überführung
Nach dem Ende der Kampfhandlungen 1918 sollte die deutsche Hochseeflotte gemäß den Waffen­stillstandsbestimmungen interniert werden. Die Ausführungsbestimmungen zum § 23 der Waffenstillstandsbestimmungen sahen vor, dass sich die deutschen Hochseestreitkräfte innerhalb von sieben Tagen in abgerüstetem Zu-stand in einen neutralen Hafen oder aber einen Hafen der Entente zu begeben hätten. Nachdem die Entente keinen neutralen Hafen finden konnte, wurde die Internierung in einem neutralen Land hinfällig. Die Durchführung er-wies sich als äußerst schwierig, denn die deutschen Kriegsschiffe waren weitgehend in der Hand der Soldatenräte.Da die Briten Verhandlungen mit den Räten ablehnten und verlangten, dass die Flotte innerhalb von wenigen Tagen abgerüstet und von Offizieren unter Führung eines Admirals überführt werden müsste, übernahm auf Bitten des Admirals Franz von Hipper schließlich am 18. November 1918 der bisherige Befehlshaber der I. Aufklärungsgruppe, Konteradmiral Ludwig von Reuter, diese Aufgabe. Der Oberste Soldatenrat konnte nur das Setzen eines kleinen roten Wimpels im Vortopp erreichen, der dann auf hoher See bald eingezogen wurde. Ansonsten fuhren die Schiffe wieder unter der deutschen Kriegsflagge.

Am 18. November brachen die ersten zwanzig U-Boote nach Harwich auf. Der Überführungsverband mit neun Linienschiffen, fünf Großen Kreuzern, sieben Kleinen Kreuzern und fünfzig Torpedobooten folgte am 19. November. Zwei nicht fahr­bereite Schiffe, die „König Albert“ und die „Dresden“, absolvierten ihren Marsch später, ebenso die zunächst nicht erfasste „Baden“. Während der Überführung lief das Torpedoboot V 30 auf eine Mine und sank mit zwei Toten.

Als sich der Überführungsverband am Morgen des 21. November dem befohlenen Treffpunkt vor dem Firth of Forth näherte, wurde er hier von der gesamten Grand Fleet, einem amerikanischen Geschwader, einem französischen Panzerkreuzer sowie zahlreichen Flugzeugen und Luftschiffen erwartet. Nach der Untersuchung durch eine britische Kommission ordnete der britische Oberkommandierende Admiral David Beatty an, dass die deutsche Kriegsflagge einzuholen sei und nicht wieder gesetzt werden dürfe. Die Admiralsflagge und Kommandantenwimpel blieben davon unberührt.

Erst am 22. November erging der Befehl, dass sich die deutschen Schiffe in vier Staffeln nach Scapa Flow zu begeben hätten: Torpedoboote am 22. November, Große Kreuzer am 24. November, das IV. Geschwader am 25. November und der Rest am 26. November. Am 27. November trafen, von starken britischen Seestreitkräften begleitet, die letzten deutschen Schiffe in der Bucht von Scapa Flow ein.

Selbstversenkung der Hochseeflotte (am 21. Juni 1919)
In Scapa Flow standen die entwaffneten Schiffe nur mit Notbesatzungen. Deutsche Handelsschiffe wurden nach Scapa Flow dirigiert, um die überflüssig werdenden Mannschaftsteile in die Heimat zu transportieren. Das Personal zur Sicherung und In-standhaltung der Schiffe umfasste danach noch 4.500 Mann, was einem Bruchteil der Sollbesatzung entsprach. Konteradmiral Ludwig von Reuter auf SMS Friedrich der Große übergab am 13. Dezember die Führung des Internierungsverbandes an den dienstältesten Kommandanten, Kapitän zur See Dominik auf SMS Bayern und fuhr auf dem Transportdampfer Bremen nach Deutschland, wo er sich in zahlreichen Gesprächen eine Lage­übersicht zu verschaffen versuchte. Erst am 25. Januar 1919 kehrte er an Bord von SMS Regensburg nach Scapa Flow zurück. Am 25. März machte er die Emden zu seinem neuen Flaggschiff.

Alle wertvollen Ausrüstungsteile, wie etwa nautische Instrumente, waren vor dem Auslaufen in Deutschland entfernt worden. Die Mannschaften hatten sich selbst mit Verpflegung zu versorgen. Zu diesem Zweck waren vier sogenannte Drifter (umgebaute Fischereifahrzeuge) eingesetzt, die im Pendelverkehr Schiff - Land für den Proviantnachschub sorgten. In der Folge entwickelte sich ein reger illegaler Tauschhandel mit der Inselbevölkerung. Am 31. Mai 1919, dem dritten Jahrestag der Skagerrakschlacht, wurde auf allen Schiffen die deutsche Kriegsflagge gesetzt, ohne dass die Briten dagegen vorgingen. Mitte Juni 1919 wurden die Besatzungen auf Initiative Reuters nochmals um rund 2200 Mann reduziert. Reuter beabsichtigte mit diesem Schritt, unruhige Besatzungsmitglieder loszuwerden und somit die eigene Handlungsfähigkeit zurückzu­gewinnen. Er entschied sich unter dem Eindruck des britischen Verhaltens und beeinflusst vom kritisch scheinenden Verlauf der Verhandlungen in Versailles zur Selbstversenkung der Flotte. Reuter vermutete, dass die deutsche Regierung den Friedensvertrag von Versailles nicht annehmen und deshalb in Kürze wieder der Kriegszustand herrschen werde. Die deutsche Flotte sollte den Briten dann nicht unzerstört in die Hände fallen. Er wies seine Offiziere an, auf sein Signal hin die Selbstversenkung einzuleiten. Ein entsprechender Vorbereitungsbefehl erging am 17. Juni. „Gegen 10 Uhr (am 21. Juni 1919) meldete mir Fregattenkapitän Oldekop, dass der englische Admiral mit Linienschiffen und Zerstörern den Hafen seewärts gehend verlassen hätte; dass laut englischer Pressenachrichten der Kauf der deutschen Schiffe von der Entente abgelehnt und bedingungslose Auslieferung gefordert sei (…)"

Von Reuter gab um 11.00 Uhr den Befehl zur Selbstversenkung: „Paragraph Elf. Bestätigen.“
Die Seeventile der deutschen Schiffe wurden geöffnet, die Verschlüsse anschließend unbrauchbar gemacht, die Türen zwischen den wasserdichten Abteilungen geöffnet und im offenen Zustand verkeilt. Als alle deutschen Matrosen ihre Schiffe fast gleichzeitig mit Rettungsbooten verließen, eröffneten mehrere der in der Bucht verbliebenen Bewachungsschiffe das Feuer auf die Boote. Durch dieses Vorgehen der Briten wurden der Kommandant der SMS Markgraf, Korvettenkapitän Walther Schumann, und acht Matrosen getötet sowie fünf verwundet. Nach den Verlustzahlen, die von Reuter angibt, wurden vier getötet und acht verwundet. Die getöteten Soldaten wurden auf dem Lyness Royal Naval Cemetery auf der Insel Hoy beigesetzt. Die Gräber werden bis heute von der Commonwealth War Graves Commission gepflegt. Als die Briten bemerkten, was wirklich geschah, war es für ein wirkungsvolles Eingreifen zu spät. Als erstes Schiff versank um 12.16 Uhr die SMS Friedrich der Große und als letztes die SMS Hindenburg um 17 Uhr. Mit Ausnahme eines Linienschiffes (SMS Baden), dreier Kleiner Kreuzer (SMS Emden, SMS Frankfurt und SMS Nürnberg) und elf Torpedobooten versanken alle deutschen Schiffe. Damit war der Kern der Kaiserlichen Marine zerstört.

Mit der Selbstversenkung hatte die Marine in militärfreundlichen Kreisen zwar einen Teil des im Krieg und insbesondere während der Novemberrevolution verlorenen Ansehens zurückgewonnen, jedoch waren harte Konsequenzen zu tragen. Die Alliierten verlangten nicht nur die Übergabe anderer, zum Teil recht moderner Schiffe, die für die neue Reichsmarine den Grundstock hätten bilden sollen, sondern auch 400.000 t Hafenmaterial.

Die Versenkung der Schiffe war ein Bruch der Waffenstillstandsbedingungen, die es verboten, militärische Ausrüstung zu zerstören. Von Reuter wurde deswegen des Vertragsbruches beschuldigt und mit seinen Seeleuten in Kriegsgefangenschaft genommen. 1.773 Offiziere und Mannschaften der Rumpfbesatzungen wurden als Gefangene in ein Militärlager in der Nähe von Invergordon überführt. Sie kehrten am 31. Januar 1920 mit einem englischen Dampfer nach Deutschland zurück.

Verbleib der Wracks
Die Wracks der gesunkenen Schiffe wurden von dem Ingenieur und Unternehmer Ernest Cox für 40.000 Pfund von der Admiralität gekauft und zwischen 1923 und 1939 unter seiner Leitung durch sein Unternehmen Cox & Danks größtenteils gehoben, ausgeschlachtet und abgewrackt. Hierbei wurde erhebliche ingenieurtechnische Pionierarbeit geleistet. Mit dem Wrack des Großen Kreuzers SMS Hindenburg im August 1930 gelang ihm die Bergung des bis dahin größten gehobenen Schiffes. Erst 1950 wurde dieser Rekord durch die Bergung der Gneisenau überboten. Nachdem Cox sein Unternehmen an die Metal Industries Inc. verkauft hatte, führten diese noch bis 1939 die Bergung einiger weiterer Wracks durch. Sieben Schiffe blieben am Meeresgrund; sie dienen heute als Ziele für Wracktaucher. Bis vor einigen Jahren wurde gelegentlich hochwertiger Stahl (Low-background steel) aus den Wracks für Strahlenabschirmungszwecke geborgen.Im Jahre 1995 wurden die verbliebenen Schiffswracks unter Denkmalschutz gestellt, darüber hinaus dürfen seit 2002 nur noch von den schottischen Behörden autorisierte Tauchbasen Tauchgänge an den Wracks durchführen. Die Vereinigung der orkadischen Schiffs-Charterunternehmer und Tauchschulen hat seit 2004 mehrere Vorstöße unternommen, die Gewässer vor der Insel Hoy, in denen die Wracks liegen, als National Marine Reserve unter Schutz stellen zu lassen (vergleichbar dem Status eines Nationalparks). Diese Vorstöße sind jedoch trotz Wohlwollens der zuständigen schottischen Ministerien mehrfach am entschiedenen Widerstand des Orkney Island Council gescheitert, die dadurch eine Beeinträchtigung des Ölterminals auf Flotta und der Fischereiflotte befürchten.

Die Modellbaufreunde aus Augsburg und Wasserburg haben in unnachahmlicher Fleißarbeit einige maßstabgetreue Modelle dieser Kriegsschiffe von Scapa Flow hergestellt und im Wasserburger Museum im Malhaus präsentiert.

Wie schon bei der Ausstellung „Kriegszeiten“ 2014 im Malhaus wiederholen wir unseren mahnenden Appell an alle Ausstellungs-Besucher:

Nie wieder Krieg!

Fridolin Altweck, Ortsheimatpfleger

Quellen: Ruge Friedrich »scapa flow 1919«
Verlag Buch und Welt Oldenburg, 1969 
Wikipedia, »Kriegszeiten«
Ausstellung 2014 im Malhaus